11 Tipps für Filminterviews

Texten heisst in meinem Fall oft auch Fragen stellen, und zwar in Interviews für Image- oder Werbefilme. Aber wie führt man eigentlich Gespräche vor laufender Kamera?

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«Hach, dieses Licht», «was für ein Kleid», «wow, dieser Bildausschnitt». Das bin ich, wenn ich mir einen Film ansehe (sorry, honey). Das Medium Film fasziniert mich. Das war schon während meiner journalistischen Ausbildung so. Ich war in wenigen Fächern so engagiert wie im Kurs «Dokumentarfilm». Bis in die Nacht arbeiten? Equipment schleppen und am nächsten Tag fiesen Muskelkater haben? Kein Problem. Ich hab damals auf dem Weg ins Filmstudio unserer Dozentin – das einzige Mal, als ich während des Studiums mit dem Auto unterwegs war – sogar einen Strafzettel kassiert, für Telefonieren am Steuer: Meine Kollegin musste mich durch den Zürcher Feierabendverkehr lotsen. Auch die saftige Busse konnte meinen Enthusiasmus nicht schmälern.

Vom Drehbuch zum Interview

Trotz meines Eifers: Dokumentarfilmerin bin ich nicht geworden und Kamerafrau auch nicht. Aber als ausgebildete Journalistin und heute Texterin arbeite ich regelmässig und leidenschaftlich bei Video- und Filmprojekten mit, für die unterschiedlichsten Unternehmen, Organisationen und Themen. Ich schreibe Drehbücher. Ich texte für Sprecher*innen, die mit sonorer Stimme aus dem Off Bildwelten mit Worten unterlegen. Und ich führe Interviews: im Rahmen von Recherchen oder in Gesprächen, die später Bestandteil eines Filmportraits, Image- oder Werbefilms sind. Wie bereite ich mich darauf vor? Und was gilt es in meiner Rolle als Interviewerin beim Dreh zu beachten? Meine wichtigsten Erfahrungen zu Filminterviews in elf Tipps.

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Ob Drehbuch oder Interview: all das ist Textarbeit. Foto: Glenn Carsten Peters on Unsplash.

1. Kenne dein Ziel

Vor dem Interview muss klar sein, welches Ziel das Gespräch verfolgt: Wie lautet die Kernbotschaft des Films? Und was soll sie beim Publikum auslösen? Diese Punkte kläre ich mit der Auftraggeberin und dem Kunden. Damit ich weiss, welche Informationen meine Fragen entlocken sollen, braucht es auch Recherchen. Je mehr Hintergrundwissen ich zum Thema habe, desto zielführender werden meine Fragen und umso differenzierter das Gespräch. Schliesslich setze ich mich mit der interviewten Person auseinander: Wer sitzt mir da gegenüber? Weshalb wurde diese Person für den Film ausgewählt? Welche Antworten sind von ihr zu erwarten? Dabei überlege ich mir immer auch, ob die interviewte Person eine eigene Agenda hat und inwiefern ich das in meinen Fragen berücksichtigen muss und kann.

2. Sprich mit dem Filmteam

Ich habe in den vergangenen Jahren mit verschiedenen Produktionsfirmen und Filmer*innen gearbeitet. Sie pflegen alle einen anderen Stil in Sachen Regie oder Schnitt. Zur Vorbereitung gehört also auch, dass ich mich mit jenen austausche, die den Film produzieren. Oft haben sie bereits konkrete Vorstellungen vom Endprodukt. Wenn nicht, überlegen wir gemeinsam, wie wir das Interview und die daraus gewonnenen Informationen in den Film einbetten.

3. Führe ein Vorgespräch

Wann immer Zeit und Budget es erlauben: Ein Vorgespräch ohne Filmkamera ist besonders wertvoll. Dieses führe ich persönlich, telefonisch oder über einen Videocall. Im Vorgespräch mache ich mich vertraut mit der Geschichte meiner Gesprächspartnerin sowie mit ihrer Meinung oder Expertise zum Thema. Zudem lernt das Gegenüber auch mich kennen. Das Vorgespräch hilft, um Themen abzugrenzen und zu verdeutlichen, worüber will und kann die Person nicht sprechen. Die Vorgespräche protokolliere ich in irgendeiner Form – mal mehr, mal weniger detailliert.

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Ein Vorgespräch ist für alle Beteiligten eine gute Vorbereitung auf das Interview vor laufender Kamera. Foto: Kushagra Kevat on Unsplash.

4. Merke dir die Interviewfragen

Nach diesen vorbereitenden Schritten geht es ans Ausarbeiten der Interviewfragen. Dabei rufe ich mir immer wieder das Ziel des Projekts in Erinnerung und greife auf meine Notizen aus dem Vorgespräch zurück. Meist entsteht eine bunte umfassende Sammlung von breit gehaltenen und sehr spezifischen Fragen, die ich Schritt für Schritt reduziere. Abschliessend bündle ich die Fragen thematisch und bringe sie in eine logische Reihenfolge, so wie ich plane das Gespräch zu führen. Das Interview vor laufender Kamera weicht von dieser Struktur oft ab, was absolut in Ordnung ist. Eine gute Vorbereitung – zu der auch das Einprägen der Fragen gehört – ermöglicht mir, situativ zu reagieren und flexibel zu sein, ohne das Ziel aus den Augen zu verlieren.

5. Versende nur Leitfragen

Je nach Filmprojekt erhält der Interviewpartner vorab Fragen, um sich auf den Dreh vorbereiten zu können. Es genügt, wenige Leitfragen zu versenden. Bekommt die zu befragende Person sämtliche detailliert ausformulierten Fragen, tendiert sie oft dazu, ihre Antworten «auswendig zu lernen». Man sieht ihr im Interview förmlich an, wie es in ihrem Gehirn rattert und sie ihre zurechtgelegten Antworten abruft. Die portraitierte Person wirkt dann steif vor der Kamera und das verleiht dem Film etwas Gekünsteltes.

6. Schaffe eine angenehme Atmosphäre

Sofern man seine Brötchen nicht als Politikerin oder Mediensprecher verdient, ist es für die meisten Menschen ungewohnt, vor einer Kamera zu stehen. Sie sind verständlicherweise nervös. Es ist wichtig, vor dem eigentlichen Dreh genügend Zeit einzuplanen, damit Regie, Kameraleute oder ich mit der interviewten Person über Alltägliches wie Wetter, Familie oder Urlaub sprechen können. So kann sich das Gegenüber aufwärmen und seine Unsicherheit ablegen. An dieser Stelle erkläre ich den Ablauf. Falls erforderlich definieren wir auch, welche Art von Antworten gewünscht werden: ob beispielsweise meine gestellten Fragen in der Antwort wiederholt werden oder die Aussagen besonders kurz sein sollen.

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Auch die Umgebung trägt dazu bei, dass die interviewte Person sich wohl fühlt. Foto: Sam McGhee on Unsplash.

7. Variiere deine Fragen

Wie ein Interview verläuft, lässt sich vorab nie sagen. Sinnvoll finde ich, unterschiedliche Fragetypen zu verwenden, um das Interview abwechslungsreich zu gestalten und auch das Gesprächstempo zu variieren.

Einfache vs. komplexe Fragen

Grundsätzlich ist es gut, mit einfachen Fragen zu beginnen und komplexere Fragen sowie emotionalere Themen später einzubringen. So kann sich das Gegenüber an die Interviewsituation vor laufender Kamera gewöhnen und Vertrauen fassen. Es hilft auch zum Einstieg breite Fragen zu stellen. «Wie haben Sie Ihre Ausbildung damals erlebt?» gibt dem Interviewpartner die Möglichkeit, beim Antworten auszuholen und persönliche Erinnerungen einfliessen zu lassen.

Geschlossene vs. offene Fragen

«Waren Sie schon einmal in Mogadischu?» – «Ja.» «Gehst du regelmässig abstimmen?» – «Nein.» Würde man nur Fragen stellen, die sich einsilbig beantworten lassen, wäre das Gespräch wohl schnell beendet und ziemlich langweilig. Dennoch gehören auch geschlossene Fragen ins Repertoire. Sie können den Interviewfluss beschleunigen und zu konkreten Aussagen führen, ohne dass das Gegenüber gross abschweift.

Zweifelsohne fördern gezielte offene Fragen wie beispielsweise «Wie haben Sie Mogadischu bei Ihrem letzten Besuch erlebt?» oder «Weshalb engagierst du dich nicht politisch?» interessantere Informationen zutage.

Wichtig ist, dass ich als Interviewerin bei ausufernden Antworten auf offene Fragen darauf achte, die Zügel nicht aus der Hand zu geben und immer wieder auf das eigentliche Thema fokussiere. Wenn ich merke, dass wir abschweifen, hole ich mein Gegenüber wieder zurück: «Um noch einmal auf meine Frage zurückzukommen … »

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Konkrete und klare Fragen sind zentral. Foto: Mikel Parera on Unsplash.

8. Sei konkret – und geduldig

In anderen Worten: Stelle eine Frage nach der anderen. Mehrfachfragen sind zu vermeiden. Es ist wichtig, das Gegenüber nicht zu hetzen und aussprechen zu lassen. Dazu gehört auch, Pausen und Stille auszuhalten. Wenn die interviewte Person die Frage nicht beantworten will oder kann, wird sie oder er das sagen.

9. Hör gut zu

Trotz der vorab ausgearbeiteten Fragen ist es unumgänglich, gut zuzuhören und auf den Gesprächsverlauf wie auch das Gegenüber einzugehen. Im Interview werden oft bislang unbekannte Themen angeschnitten, die nicht Teil des Vorgesprächs waren oder an die sich die interviewte Person erst jetzt erinnert.

10. Bleib ruhig

So wie sich interviewte Personen an das Gespräch vor laufender Kamera gewöhnen müssen, muss ich mir als Interviewerin die Situation auch immer wieder ins Bewusstsein rufen. Wenn ich nicht im Film vorkommen, sicht- und spürbar sein soll (was eigentlich fast immer der Fall ist), heisst das, nicht verbal auf Antworten reagieren. Statt Aussagen mit Worten zu kommentieren, gilt es zu nicken, zu lächeln, meine Mimik sprechen zu lassen.

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Pssst! Meine verbalen Kommentare sind meist unerwünscht. Foto: Kristina Flour on Unsplash.

11. Das letzte Wort gehört dem Gegenüber

Wenn ich am Ende des Interviews bin, frage ich die interviewte Person nach abschliessenden Gedanken: ob wir über alles gesprochen haben, ob es einen Punkt gibt, der ihr besonders wichtig ist. Mit diesen und ähnlichen Fragen schliesse ich auch Gespräche, die ich im Rahmen von Recherchen führe. Dass jemand sagt «Das haben wir vergessen», ist – wenn ich mich recht erinnere – noch nie vorgefallen. Aber hie und da weisen die interviewten Personen nochmals auf einen für sie zentralen Aspekt hin und fassen diesen besonders gekonnt und treffend zusammen.